Angela Merkel Dachau 1redepieter1Rede des CID-präsidenten, Ra Pieter J.Ph. Dietz de Loos, bei

der verleihung des General-Andre-Delpech-preises

an die Bundeskanzlerin frau dr. Angela Merkel, Berlin, 4. November 2014.

Und die Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich

der Verleihung des Général-André-Delpech-Preises.

Rede des CID-präsidenten, Ra Pieter J.Ph. Dietz de Loos, bei der verleihung des General-Andre-Delpech-preises an die Bundeskanzlerin frau dr. Angela Merkel, Berlin, 4. November 2014

Berlindiscours4nov3Sehr geehrte Frau Dr. Bundeskanzlerin,

Als erste haben Sie voriges Jahr die Einladung des Internationalen Dachau Komitees über dessen Vizepräsidenten Dr. h. c. Max Mannheimer angenommen, die KZ-Gedenkstätte Dachau zu besuchen.

Vor Ihnen hatte keiner Bundeskanzler in innerer Sammlung an diesem Ort verharrt.

Wie Sie es wissen, ist Dachau das Symbol der Unterdrückung der europäischen Widerstandbewegung gegen den Nationalsozialismus. In Dachau und dessen Außenlagern wurden Häftlinge aus 38 Ländern aus diesem Grund verschleppt, ohne die Juden, Sinti und Roma zu vergessen.

Dachau war die Schule der Gewalt. Hier wurde die NS-Barbarei ausgearbeitet und später in den anderen Lagern umgesetzt. Hier entwickelte sich das Konzentrationslagersystem des Dritten Reiches weiter, welches zu einer Menschenvernichtung führte, die in der Menschheitsgeschichte bisher nicht gegeben hat.

Bei Ihrem Besuch in der KZ-Gedenkstätte haben Sie uns die Beharrlichkeit der Bundesdeutschen demokratischen Staates und den Willen deren Bürger bekräftigt, diese so leidvolle Geschichte nicht zu vergessen und jegliche Aktion zu bekämpfen, die zu einer Wiederholung solcher Ereignisse führen könnte.

Zu diesem Anlaß hat das Comité International de Dachau Ihnen den General-Andre-Delpech-Preis verliehen und mitgeteilt, er möchte die Ehre haben, Ihnen diesen Preis offiziell zu verleihen.

Der General André Delpech war mein Vorgänger an der CID-Präsidentschaft. Seine Tochter, die unter uns ist, wird mich begleiten, um Ihnen diesen Preis zu verleihen.

André Delpech wurde am 1. Oktober 1924 geboren. Sein Vater ist Bahnhofsvorsteher, seine Mutter Lehrerin.

Seine Familie, die damals im Nordfrankreich lebte, flüchtet auf ihrem Landgut in die freie Zone im Südfrankreich nach dem Waffenstillstand von Juni 1940, und Andre absolviert sein Studium als Internatsschüler im Gymnasium in Cahors.

Am 11. November 1942 fällt Nazi-Deutschland in die unbesetzte Zone ein. An diesem Tag entscheidet sich André, zum Widerstand überzugehen. Er schließt sich sofort einer Gruppe an, welche die Untergrundbewegungen im Südfrankreich und die Geheimarmee vereinigt hatte, deren Chef, der General Delestraint, in Dachau kurz vor der Befreiung des Lagers ermordet wurde.

Parallel zu seinen Missionen als Verbindungsmann und zu Kampfhandlungen im Maquis bereitet er die Eingangsprüfung, um Offizier des französischen Heers zu werden.

In Bedrängnis in Toulouse setzt er in Cahors seinen Kampf im Untergrund fort, während er Betreuer am Gymnasium ist: aufgeklebte Flugblätter, Training in den Wäldern des Quercy, Sabotage, Hinterhalte...

Er kämpft innerhalb der Französischen Streitkräfte des Inneren als Leutnant der FFI bis zu seiner Verhaftung durch die Gestapo am 17. Mai 1944.

Am 2. Juli 1944 fährt er mit dem berüchtigten „Todeszug" von Compiègne nach Dachau. Von den 2500 Gefangenen bei Abreise gibt es bei der Ankunft ca. 980 Tote, die hauptsächlich am ersten Reisetag wegen der erdrückenden Hitze und der Weigerung der Nazis, die Türe zu öffnen und Wasser zu geben, erfolgten.

Andre kommt am 5. Juli 1944 in Dachau an. Er trägt die Nr. 76727. Er wird dann ins Außenlager Neckargerach geschickt, um im Bergwerk Obrigheim zu arbeiten.

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Am 5. April 1945 wird er in der Nähe von Osterburken durch die Amerikaner befreit und mit eigenen Mitteln nach Frankreich am 20. April 1945 zurückkommen.

Sehr abgemagert, völlig abgeschwächt, an Tuberkulose erkrankt, wird er im Spital und dann in einem Erholungszentrum lange behandelt.

Aufgrund seiner militärischen Verdienste wird er im November 1945 in die Schule Saint-Cyr aufgenommen und dient als Offizier im Verbindungsdienst.

Als er ein Regiment der französischen Streitkräfte in Rastatt kommandiert, liegt es ihm am Herzen den deutsch-französischen Klub zu präsidieren und er setzt sich mit Entschlossenheit dafür ein, eine brüderliche Annäherung zwischen beiden Gemeinschaften zu fördern, da er davon überzeugt ist, dass die Freundschaft unter den Völkern das beste Mittel ist, damit die heranwachsenden Generationen nicht die Leiden erfahren, die er an Seele und Leib schmerzlich erlebt hatte. Er wurde von der Gemeinde und der lokalen Bevölkerung mit viel Rührung und Dankbarkeit verabschiedet.

Er führt eine brillante Karriere fort, bis er zum Generalleutnant erhoben wird.

Im 1991 wird er zum Präsidenten der französischen Lagergemeinschaft des Konzentrationslagers Dachau gewählt und führt während 14 Jahre auch den Vorsitz des Internationalen Dachau Komitees.

Davon überzeugt, daß die Erinnerungsarbeit nicht die Exklusivität der letzten Zeugen bleiben soll, wünscht er, daß die heranwachsenden Generationen sich den Betrieb und die weitere Entwicklung dieser Instanzen zu eigen machen müssen. Er setzt ein Beispiel, indem er die Präsidentschaft an Mitglieder der zweiten Generation überläßt, bevor er im 1972 verstarb.

Mit Kraft, Klarsicht und Ausdauer beschränkte sich der General Delpech nicht allein darauf, die Tragödien der Vergangenheit in Erinnerung zu rufen. Mit dem CID hat er uns ein Werkzeug für das Gedenken überlassen, welches durch das Gesetz des Bayerischen Staates anerkannt und vor kurzem durch die Stiftung Bayerische Gedenkstätten neu definiert wurde, um gemeinsam an dem Gedenken des ersten Konzentrationslagers mitzuwirken, welches die politischen Oppositionellen und den Widerstand der vom Hitlerismus überfallenen Nationen unterdrückt hat.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sie haben die Vorgehensweise des Generals Delpech unterstützt, indem Sie nach Dachau gekommen sind und Sie sich verneigt haben. Ihre Geste hat ein internationales Echo gehabt und Sie haben so das Werk gestärkt, welches die Stiftung Bayerische Gedenkstätten und das CID verfolgen.

In diesem Sinne habe ich jetzt die Ehre, Ihnen den General-André-Delpech-Preis und seine Medaille zu verleihen - mit dieser vom berühmten französischen Künstler und Plakatgrafiker Alain Carrier, der selbst Widerstandskämpfer im Perigord war, eigens für die Erinnerung an das Konzentrationslager Dachau entworfene Friedenstaube.

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Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich der Verleihung des Général-André-Delpech-Preises am 4. November 2014

Sehr geehrter Herr Dietz de Loos, sehr geehrte Vertreter des Internationalen Lagerkomitees Dachau,
vor allem: sehr geehrte Frau Boursier, sehr geehrter Herr Naor,
sehr geehrter Herr Samuel, sehr geehrter Herr Feierabend,
liebe Gerda Hasselfeldt, die du mit dabei warst, als ich Dachau besucht habe, weil es dein Wahlkreis ist,
meine Damen und Herren,

zum 55. Jahrestag der Befreiung des ehemaligen Konzentrationslagers im Jahr 2000 betonte Général André Delpech mit Blick auf die Verbrechen Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus eine „Pflicht zur Erinnerung“ und „Pflicht zur Wachsamkeit“. Freiheit, so André Delpech, sei kein „Geschenk des Himmels“, sondern müsse jeden Tag aufs Neue gewonnen werden. Genau dazu mahnt auch der Preis, der seinen Namen trägt.

Ich möchte mich ganz herzlich dafür bedanken, dass Sie mir die Ehre zuteilwerden lassen, diese Auszeichnung entgegennehmen zu dürfen – noch dazu im Beisein von Überlebenden des Konzentrationslagers Dachau und der Tochter von André Delpech. Ich weiß diese Geste des Vertrauens sehr zu schätzen.

Das Jahr 2014 steht ganz im Zeichen des Gedenkens an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren und genauso des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Wir erinnern in diesem Jahr in besonderer Weise an das unermessliche Leid, das Deutschland über Europa gebracht hat. Der Zivilisationsbruch der Shoa erfüllt uns mit tiefer Trauer und Scham. Wir sind uns der immerwährenden Verantwortung Deutschlands bewusst, die hieraus erwächst. Nur so – davon bin ich überzeugt – kann eine gute Zukunft gestaltet werden.

Berlindiscours4nov1Der Freiheits- und Widerstandskämpfer André Delpech hat das Grauen eines Todeszugs und des Konzentrationslagers Dachau erlebt – und nur mit knapper Not überlebt. Im Sommer letzten Jahres habe ich die Gedenkstätte Dachau besucht. Dieser Ort des Zivilisationsbruchs ist heute ein Ort gegen das Vergessen – für uns und für kommende Generationen.

Umso entsetzlicher – das sei hier auch gesagt – sind Taten wie der Diebstahl des Eingangstores dieser KZ-Gedenkstätte in der Nacht zum vergangenen Sonntag. Ich hoffe, dass diejenigen, die das getan haben, schnell gefasst und zur Verantwortung gezogen werden.

Meine Damen und Herren, Erinnerung und das Erinnern wachzuhalten – das ist alles andere als rückwärtsgewandt; im Gegenteil. Erinnerung und das Erinnern wachzuhalten, ehrt die Opfer und dient dazu, unser Leben heute und unsere Zukunft zu gestalten. Erinnerung ist untrennbar damit verbunden, uns stets aufs Neue entschieden gegen jegliche Form von Extremismus, Antisemitismus und Rassismus zu wenden – und uns für Menschenrechte, für Frieden, für Freiheit, für Meinungsfreiheit einzusetzen. Diese so wertvollen und doch so verletzlichen Güter, die die Grundlage eines Lebens in Würde bilden, können wir in Europa nur gemeinsam bewahren und stärken.

Dessen waren sich die Europäer der ersten Stunde nach den Katastrophen der beiden Weltkriege und der Shoa bewusst. Davon legte auch Général André Delpech persönlich Zeugnis ab. – Sie haben das soeben eindrucksvoll noch einmal in Erinnerung gerufen.

Wir Deutschen werden nie vergessen, dass uns Frankreich nach all den Jahren des von Deutschland ausgelösten Leids die Hand zur Aussöhnung reichte. Die Aussöhnung zwischen unseren Völkern, aus der schließlich unsere Freundschaft erwuchs, gehört zu den Wundern der Nachkriegszeit; sie war eine der wesentlichen Grundlagen der europäischen Einigung. Heute ist es nun an uns, dieses kostbare Erbe zu pflegen und im Wissen um dieses hohe Gut eine friedliche und gute Zukunft für unser gemeinsames Europa zu sichern. In diesem Sinne sehe ich die Auszeichnung mit dem Général-André-Delpech-Preis als Aufforderung, als Ansporn und als Ermutigung an.

Herzlichen Dank.

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