Otto Adler

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Otto Adler ist am 4. Mai 1929 in einer jüdischen Familie in Cluj, im Norden Transsylvaniens geboren. Er war ein Einzelkind. Sein Vater Isidor Mihai Adler war Automobilfahrer und Mechaniker mit großer praktischer Erfahrung, er hatte mehr eine religiöse als laizistische Ausbildung. Seine Mutter Serena (Szera) Adler geborene Fell hatte ihre Abitur und war vielseitig ausgebildet.

 

 

Vor dem Krieg lebte die Familie in der Straße Horea Nr. 48, neben der orthodoxen Kirche und gegenüber der Synagoge Neologia, die seitdem die Synagoge der Deportierten geworden ist. In seinen (noch nicht veröffentlichen) Erinnerungen schreibt er: „Zwischen 1937 und 1944 haben wir mit meinem Vater und Mutter in einer kleinen Wohnung mit zwei Zimmern mit Fenstern mit Blick auf der Straße am ersten Stock dieses kleinen Gebäudes im Stil der 30er Jahre gelebt. Am 1. Mai 1944 haben die ungarische Gendarmen uns von dort weggejagt und ins Ghetto der Ziegelfabrik geworfen. Hierher sind wir im Oktober 1945 nach unserer Rückkehr aus Dachau zurückgekommen...“

Im Hof der Synagoge gab es die jüdische Elementarschule wo unser Lehrer Frei oder Frei bacsi war: „... das war ein ziemlich großer Mann, mit ergrautem Haar wie es sich gehört, der keine Ohrfeige versetzte; zu dieser Zeit schien er mir ein großer Gelehrter zu sein. Sein eher freundlicher Charakter war um so mehr offensichtlich, da Herr Brief der oberen Klasse vorstand, und dieser hatte einen mit Schnur umhüllten Strang, den er als Folterinstrument benutzte.“ Im Hof der Synagoge war auch der Kindergarten (Heder), den er vor der Schule besucht hatte. Während seiner Freizeit spielte er mit den Kindern aus diesem Viertel, gleichaltrigen multiethnischen kleinen Kindern; in diesem interkulturellen Milieu sprachen die Kinder Rumänisch, Ungarisch oder Jiddisch.

An der Hausnummer 1 von der Straße Basarabia (die vorher die Straße Somesului hieß) befand sich vom Oktober 1940 bis April 1944 „das beste Gymnasium der Welt“, das jüdische Gymnasium von Cluj, welches auf ungarisch (abgekürzt) ZSIGLIC genannt wird und worüber er in seinen Erinnerungen wie folgt sprach: „... Wer auch nur 2 oder 3 Klassen in diesem Gymnasium besucht hat, wird es nie vergessen können“.

 

 

otto adler father mother

Otto Adler vor dem Krieg, mit seinem Vater und Mutter.

 

Die Harmonie der Familie, wie die von allen Juden (die damals jeden fünften Bürger der Stadt Cluj ausmachten), wurde im Frühjahr 1944 erschüttert, als sie im Ghetto eingeschlossen wurden. Nach einigen Tagen wurden sie unter unmenschlichen Bedingungen in Viehwagen nach Birkenau – Auschwitz II verschleppt. Nach einer schrecklichen dreitägigen Reise sind sie mit ihrem kleinen Gepäck auf einer Plattform ausgestiegen und wurden durch den Arzt Mengele für die Arbeit ausgesondert. An den Kolonnen der müden Personen gingen ältere Häftlinge vorbei und sagten den größeren Kindern, sie sollten antworten, daß sie 16 Jahre alt sind und gute Arbeiten wären. Mein Vater meinte, daß die Älteren von dort vielleicht den Grund kannten, warum man erklären sollte, daß man 16 Jahre alt ist, er folgte also diesem Ratschlag. Zu dieser Zeit war mein Vater ein kräftiger und kerngesunder Junge, was am Kriegsende nicht mehr der Fall war, als er aus dem Lager befreit wurde und 29 Kilos wog. Bei der Selektion wurden mein Vater und mein Großvater für arbeitsfähig befunden und in die Kolonne derjenigen, die arbeiten werden, eingeteilt. Was meine Großmutter anbelangt, - die Familie erfuhr es von Kusinen, die bei ihr waren – wurde sie ebenfalls für die Arbeit ausgesondert. Sie hat aber die Kolonne gewechselt: sie wollte noch ein paar Sekunden nach ihrem Kind und ihren geliebten Mann sehen, und so hat sie den Weg zu den Gaskammern genommen.
Die Monate in den Lagern waren sehr schwer, denn mein Vater und Großvater arbeiteten in den Bergwerken: zuerst im Außenlager Thil, in der Nähe von Longwy in Frankreich (sie haben dort von Juni 1944 bis Anfang März 1945 gearbeitet... der Zeitbegriff wurde relativ... die Tage vergingen mit großer Mühe. Woher wußte er, daß sie im Juni 1944 waren? ... als sie von Birkenau in einem Güterwaggon wegfuhren, setzte sich mein Vater neben einem kleinen Fenster... so hat er im Leipziger Bahnhof eine Gespräch zwischen zwei Männern mit starkem preußischen Akzent gehört... sie sprachen von den Amerikanern, die in der Normandie gelandet waren (nach dem Krieg erfuhr er, daß es sich um den 6. Juni 1944 handelte).
Ende März – Anfang April 1945 überqueren sie wieder in einem Güterwaggon die Ruhr und kommen in das Konzentrationslager Kochendorf in Deutschland. Sie kamen aus einem mit 300 Gefangen belegten Lager, wo ca. 2 Menschen pro Woche starben. In Kochendorf fanden sie ca. 1000 Russen mit sehr schweren Arbeit. In diesem Neckarlager starben jeden Tag 4-5 Personen vor Hunger oder an Krankheiten.
Danach, als es einen Judentransport gab, der in einem Tal erschossen werden sollte, befanden sich mein Vater und mein Großvater unter ihnen. Sie haben aber Glück gehabt: als sie unten im Tal am folgenden Tag erwachten, sahen sie, daß die umliegenden Hügel leer waren, denn die NS-Leute waren verschwunden... Die Gefangenen gingen heraus, unterstützten die Schwächsten unter ihnen und gingen in Richtung Garmisch-Partenkirchen. Und auf diese Straße begegneten sie den amerikanischen Truppen der Rainbow Division...
Danach sind sie in Dachau bis zum Herbst geblieben. Während dieser Zeit hat er Persönlichkeiten kennengelernt, von denen er später erfahren hat, daß es sich um historische Persönlichkeiten des Krieges handelte. Wie die anderen Überlebenden haben sie sich bis Oktober erholt, als sie sich gefragt haben, ob sie den Truppen in die Vereinigten Staaten folgen werden. In diesem Augenblick hat mein Vater beschlossen, seinem Vater zu folgen und in seine Heimatstadt in Cluj zurückzukehren. Dank einem Stück Baumrinde, worauf die Namen der Verstorbenen der Frauenlager geschrieben waren, erfuhr mein Vater im Lager, daß seine Mutter ums Leben gekommen war. Dies sagte er meinem Großvater nicht, damit er nicht noch mehr leidet und um zu versuchen, die Notlage meines Großvaters zu mildern. Da beschloß mein Vater seinem Vater zu folgen, der seine Frau wiedersehen wollte.

 

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Otto Adler nach seiner Befreiung aus dem KZ-Lager Dachau.


 

In Cluj zurückgekehrt hat mein Vater das Gymnasium abgeschlossen und das Abitur abgelegt. Nachher ging er nach Bukarest, um dort ein Hochschulingenieurstudium aufzunehmen. Vorkurzem habe ich erzählt, wie meine Eltern sich zum ersten Mal im Sommer 1946 in dem bekannten Ferienort Cojocna getroffen haben, wo meine zukünftige Mutter Otto 1952ihre Mutter begleitete. Dieses schöne und kluge junge Mädchen hieß Lolita Abramovici und kam aus seiner jüdischen Familien aus der Moldau, die vor kurzem nach Bukarest umgesiedelt war. Bei diesem Treffen haben sich mein Vater und Mutter auf den ersten Blick verliebt.

Otto Adler war immer stolz auf seine Familie. In seinen Erinnerungen heißt es: „Im 1952 (am 18. Mai) habe ich geheiratet. Ich hatte schon wieder Chance! Kein Vorwurf an meiner Frau, außer daß sie mich nach 50 Jahren und acht Tagen verlassen hat. Sie war eine sehr schöne, gescheite, gebildete Frau, voll von Ausdauer und Energie, eine ausgezeichnete Berufspsychologin und eine ausgezeichnete Hausfrau, Lolita war „meine Seelenfreundin“, wie man sagt.


 

 

Sie haben zwei Kinder gehabt: Serena und Alin. Serena hat einen großen Sohn Viktor, der jetzt Vater eines Sohnes David ist. Unser Vater Otto war sehr froh, die ersten Jahre seines Urgroßenkels David zu erleben! Er sagte zu den Freunden, daß er wieder Glück gehabt hat seinen Urgroßenkel zu erleben, bevor er für immer wegging.

 


 

tto und Lolita Adler nach ihrer Hochzeit, 18. Mai 1952.

 

 

Otto Adler 2013

Otto Adler mit seinem Urenkel David im Dezember 2013.

 

 

Nach seinem Studienabschluß an der Polytechnischen Hochschule in Bukarest hat er weiter seine hochschulische Tätigkeit im Bereich der Thermotechnik und der Energieeffizienz fortgesetzt. Sein Leben lang hat er weiter seine Erfahrung im Bereich Engineering weitergegeben. Er war der Vorstand des Labors für Energieeffizienz und Umwelt im Institut für die metallurgische Forschung in Bukarest. Dann hat er eine Gesellschaft für technische Unterstützung und Beratung gegründet. Als Autor und Mitautor hat Otto Adler 6 Bücher (2 Lehrbücher für Studenten und 4 Fachbücher) sowie mehr als 80 Artikel herausgegeben. Im Prozeß der Festlegung von Strategien und wissenschaftlichen Werken in Rumänien und im Ausland hat er mit nationalen und regionalen Einrichtungen zusammengearbeitet. Er war Regierungsberater für Pläne und Programme der Energieeffizienz in der Schwerindustrie. Er war Autor und Mitautor von 14 Innovationen, unter denen zwei im Ausland patentiert wurden, und die Ergebnisse ihrer Anwendung haben zu bedeutsamen Energieeinsparungen beigetragen. Ihm wurden Auszeichnungen, Medaillen verliehen. Die höchste davon ist der Ritter des nationalen Ordens Stern Rumäniens.

 

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Otto Adler im Familiengarten, Juni 2008.

Seit 1990 hat er sich Aktivitäten für die Erinnerung an den Holocaust gewidmet und wurde 2001 zum Präsidenten der Vereinigung der jüdischen Holocaustopfer in Rumänien (AERVH). Mit seinen Kollegen haben sie die Grundlagen der Erziehungsprogramme für Jugendliche aufgebaut, er hat die Entstehung einer modernen Gesetzgebung gegen antisemitische Äußerungen, gegen Intoleranz und Ausgrenzung unterstützt. Zurzeit verfügt Rumänien über einen legalen Vorschriftsrahmen, der im Vergleich zu anderen Ländern als einer der besten betrachtet werden kann. All diese Aktivität nimmt jetzt eine neue Dimension an, und zur Seite von unseren Alten kommen Jugendliche aus der zweiten und dritten Generation, die sich darum bemühen, damit das Gedenken an den im Holocaust 6 Millionen getöteten Juden nie vergessen wird. Sie werden in unseren Herzen jetzt und für immer bleiben.

Otto Adler 2014

Otto Adler, vor seiner letzten Interview im April 2014.

 

Nach langem Leiden schied mein Vater Otto Adler am 6. Mai 2014 am Vormittag dahin. Nur zwei Tage vor diesem schicksalsschweren Morgen hatte er seinen 85. Geburtstag gefeiert. Am Vormittag seines Verschwindens haben wir über seine Zukunftspläne gesprochen, er hatte immer Pläne und sein Optimismus und seine Weisheit werden bei uns, seiner Familie, seinen Freunden und Kollegen, und seinen gestrigen und heutigen Studenten bleiben. Bei seinem Begräbnis waren viele Leute anwesend, und eine militärische Bewachung hat ihm auch die militärischen Ehren erwiesen. Im rumänischen Parlament wurde sogar eine Gedenkminute für die Erinnerung meines Vaters eingelegt. Die Familie ist allen dankbar. Er bleibt ein Beispiel für eine enzyklopädische Kultur, für seinen edlen Charakter, seine Bescheidenheit, seinen Optimismus und seine Großzügigkeit.

Nur wenig Wochen von seinem Hinscheiden hat er sein letztes Interview gegeben und sagte: „mein letztes Interview...“.

Dr. Serena Adler, Tochter von Otto Adler

12. Juni 2014

 

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