Stane Šinkovec

stane sinkovecAuszug aus dem Buch über Dachau geschrieben von Stane Šinkovec,
herausgegeben und übersetzt von Anže Šinkovec.

Wir verlassen die Gefängnisse von Begunje. Wir haben den 30. Mai 1942, den Tag vor dem Transport, sie sammeln 23 von uns in die Büros, uns wird befohlen, unsere persönlichen Sachen zu packen, die wir in speziellen Taschen bei unserer Ankunft in Begunje geben mußten, und die Adresse unserer Familie auf die Pakete zu schreiben.
Wir dürfen nur eine Zahnbürste und eine Seife behalten. Im Laufe der Zeit aufgrund dessen, was sie beim Weggehen behalten dürfen, können die Gefangenen ziemlich genau ihr Schicksal ahnen. Also in die Todeszone ... Nicht zum Fluß Draga, aber ins Unbekannte im Dritten Reich, wo wir heimlich getötet werden, ohne daß unsere Familie jemals herausfindet, wo unsere letzte Ruhestätte sich befindet.

 

 


Der abscheuliche Javor, der Delegierte in den Gefängnissen von Begunje, kommt auf mich zu und fragt zynisch: „Na Zinkovic, haben Sie eine Ahnung, wohin sie gehen?" Ich schaue ihn ruhig an. „Sie fahren nach Dachau... Warum seid Ihr so blaß geworden?" Ich bin nicht sicher, daß ich wirklich blaß geworden bin, weil ich damals mich unter dem Namen Dachau nichts besonders vorstellen konnte.
Mehr als alles andere, nehme ich an, seine Worte gaben mir die Hoffnung, daß alles nicht verloren und eine Lösung immer noch möglich sei. Nur diese verdammten Gitterzellen in der zweiten Etage der Gefängnisse von Begunje zu verlassen und es wird möglich sein, etwas zu erreichen. Ein wenig später gibt mir ein SS-Mitglied Gluck heimlich 50 Deutsche Mark, die meine Familie mir geschickt hatte, was bedeutet, daß ich sie vielleicht noch verwenden könnte. Später wurde er von der Gestapo wegen Zusammenarbeit mit den Partisanen hingerichtet, aber wir, die Gefangenen, respektierten ihn für seine Menschlichkeit.
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Wir kommen vor einer riesigen Eisentür mit einem geschmiedeten Schild, das besagt: „Arbeit macht frei". Il lese es halblaut und bekomme sofort eine Antwort: „Ja aber nur durch den Schornstein." Damals fühle ich mich zum ersten Mal unter dem Stiefeln der Henker von Dachau. Als sich die Tür hinter uns schließt, ahnt keiner, daß es einige Jahre dauern wird, bevor sie sich wieder öffnet, und lediglich für einige von uns, für alle andere wird sie für immer geschlossen bleiben.
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Am 21. Juli 1942 rufen sie mich schließlich zum medizinischen Sektor. Für die Station, wo sie die Malaria-Experimente durchführen, werden zum ersten Mal zwei Zimmer der Baracke 1 und 3 an der Ostseite des Gefangenenlagers zugeordnet. Labor und Büros vom Leiter der Malariastation Professor Dr. Schilling, sind Teile der Baracke B.... Zur Behandlung verwenden sie nur Chinin, manchmal auch Digitalis zur Stärkung des Herzens. Eine der Gruppen, zu der ich zugewiesen bin, ist eine Art von Vergleichsgruppe, die keine Medikamente bekommt. Beim ersten Versuch erhalte ich also nur 1 Chinin-Pille, die Franc Kern aus Kranj mir gibt, einer von uns, der zu dieser Zeit auch dem Experiment unterzogen ist.
Nach einigen Tagen der Fütterung der Mücken habe ich Fieber. Es beginnt um 4.00 Uhr mit schwerer Schauer, die sie als Schüttelfrost" bezeichnen. Nichts hilft, unabhängig wie viele Decken über mir sind, zittert das Bett, als würde es zu jeder Zeit zusammenbrechen. In wenigen Stunden bekomme ich extremen Fieber und am Nachmittag beginne ich so hart zu schwitzen, daß manchmal der Schweiß durch die Strohkissen durchdringt. Ich habe Kopfschmerzen und will erbrechen. Meine Augenlider sind morgens geschwollen und so sind auch meine Beine, da das Wasser nicht aus meinem Körper abläuft... Die Krankheit wird aber nicht nur von starken Kopfschmerzen begleitet, oft bin ich im Delirium. Wie aus der Ferne kommen die Singstimmen von meinen Kameraden zu meinen Ohren bei der Rückkehr in die Baracke für den abendlichen Appell.
Es trommelt ständig in meinen Ohren: „So weit ist die Heimat." Und: „sie leben nur einmal und nie wieder". Mein Kopf ist im Begriff zu explodieren, und dieses ständige Echo: „weit, weit, weit weg... nie wieder..." Werde ich jemals mit meinen Freunden wiederzusammenkommen?
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Die schwere Eisentür mit dem Schild "Arbeit macht frei" weit geöffnet, und unter der Menge von tobenden SS-Offizieren und ihre Hunden, unter dem Klang des Orchesters des Gefangenlagers zwei entflohene Häftlinge voll mit Blut bedeckt. Wie für alle anderen tragen sie ein Schild um den Hals: „Ich bin wieder da". Die Zeremonie dauert seit einiger Zeit, ich höre aber alles, das Schreien und die Schläge, von sehr weit her. Mir scheint, ich ertrinke, und die Baracken brechen auf mich zusammen. Zwei Freunde schleppen mich in die Station, wo sie mich als fähig diagnostizierten: ein ärztlicher Assistent hat 41,9 °C gemessen aber sie sagen es mir später, da ich schon bewußtlos bin. Ich wache erst 2 Tage später wieder auf. Die Malaria hat meine Kraft erschöpft, ich wiege weniger als 40 Kg, obwohl ich 1,80 groß bin.
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Die von den Familien geschickten Pakete mit zusätzlichen und – was noch wichtiger ist – mehr nahrhaften Lebensmitteln, retten das Leben von vielen von uns. Es hilft mir auch zur Erholung und ich komme wieder auf die Beine, denn im Mai dieses Jahres (1943) wiege ich wieder 52 kg... Viele sammeln wieder Kräfte in diesen Zeiten der Konsolidierung und relativer Ruhe und beginnen zu hoffen, daß sie vielleicht überleben werden. Niemand vermutet jedoch, daß die wirkliche Hölle und Qual beginnen erst in Dachau. Das ist die 2. Typhusepidemie... Sie beginnt in letzten Monaten des Jahres 1944 und, zusammen mit der Dysenterie, kostet sie über 15.000 Leben in nur 5 Monate (im Jahr 1944 gab es 26.000 Häftlinge in Dachau).
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Das Büro des Gefangenenlagers Büro sucht einen Freiwilligen, um dem Arzt in die Infektionsbaracke zu begleiten... Ich meldete mich... Meine Freunde sind dagegen, ich laß aber nicht zu, daß sie mich davon abbringen... Der Doktor, und ich gehen von Baracke zu Baracke. Es gibt viel zu tun, aber was noch wichtiger ist: es ist gefährlich. Bereits am ersten Tag eile ich zur Baracke 30, um zu sehen, was mit den Behinderten los ist. Ich habe viele schreckliche Dinge gehört, als ich noch in der Baracke arbeitete, so will ich in meinen eigenen Augen sehen... Ich zeige der Wache den Paß und trete – in der Hölle... Ich bin erstarrt. Etwas hält mich zurück. Schließlich trete ich in die Baracke und in das Zimmer 2. Was ich gesehen habe! Die Feder ist zu schwach, und weigert sich, zu schreiben. Ja, Dante sah nicht die Hölle...Mich schaudert, fühle mich unwohl und denke, ich werde erbrechen. Es dauert nur eine Sekunde. Ich überwinde die Übelkeiten. Es gibt keinen Weg zurück...

Das ist die Geschichte meines Großvaters Stane Šinkovec, eines Gefangenen von Dachau, einem Todeslager. Er überlebte. Er wollte nie mit uns, mit seiner Familie, über seine Erfahrungen sprechen. Ich nehme an, es war zu schwer für ihn darüber zu sprechen, was ihm wiederfahren war. Stattdessen schrieb er 2 Bücher: „Dachau" und „Begunje", die seine Geschichte für die kommenden Generationen erzählen. In diesen Büchern erinnert er uns an die schreckliche Dinge, die vor nur 70 Jahren stattfanden. Das Erstaunliche daran für mich ist, daß trotz allem er nie seinen Optimismus und Glaube an die Menschheit verloren hat. Das ist sein Vermächtnis. Dies ist seine Lehre des Gedenkens für uns.
Anže Šinkovec

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